Von Peter M. Jenni auf Dienstag, 10. November 2015
Kategorie: TAM-Archiv Indochina-by-bike.ch

Der Blick des Befehlgebers

Da sitze ich also auf der Hotelterasse und geniesse für einen Tag das, was man Strandurlaub nennt. Vor mir öffnet sich die Bucht von Quy Nhon und ich frage mich, hat dieser Blick auch schon einen US-Befehlsgeber beglückt, als er Befehl gab, hunderte Menschen zu töten oder Quadratkilometer von Wald zu entlauben?

Die Sinnlosigkeit eines (im Speziellen des Vietnam)-Krieges wird mir auf dieser Reise noch bewusster, als sie es eh schon war. Es geht nicht um gut oder böse. 

Es geht um Menschen. Verkrüppelt, entstellt. Es geht um Marie (78). Fast nur noch Haut und Knochen. Sie spricht gut englisch. Hat neun Jahre mit einem GI zusammen gelebt. Dann ist er gegangen. Das Sprechen fällt ihr schwer, das Lachen nicht.

Heute fährt Marie mit ihrem klapprigen Rad von Lokal zu Lokal und verkauft Lose. Sie lächelt, als sie mir sagt, sie wisse nicht, was aus dem GI geworden ist.

An der AH1 ist mir aufgefallen, wie viele Invalide es gibt. Sie betteln nicht. Hängen nicht vor den Hotels. Man sieht aber auch viele Gräber. Ich meine nicht die farbenfrohen mit grossen Steinen besetzten Gräber in den Reisfeldern. 

Ich meine jene Friedhöfe auf denen militärisch genau und auf einer Linie ausgerichtet - in Formation wie sie losgezogen sind liegen sie da - Grabstein an Grabstein steht. Nichts erinnert an das totale Grauen und Chaos in dem sie ihr Leben gelassen haben. 

Und jedes Mal stellt sich mir die gleiche Frage: Hatte dies sein müssen? Wieso dieser und alle anderen sinnlosen Kriege?

Meine Frage mag vielen banal erscheinen. Und sie haben recht. Denn es gibt keine Antwort. Diese liegt in uns selbst.

Doch zurück zum Blick des Befehlgebers über die liebliche Bucht. Auf dem Strandweg zwischen Hotelterasse und Strand hinkt ein alter Mann vorbei und will Lose verkaufen. Niemand kauft eines. Der Alte schlurft langsam weiter.

"Ich war nur Befehlsempfänger", wird sich der Befehlsgeber sagen und sein Blick entlang der einlaufenden Frachter zum wolkenverhangenen Horizont schweifen lassen.

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