Von Peter M. Jenni auf Sonntag, 28. September 2014
Kategorie: TAM Archiv vor 2015

Ist das peinlich

Als sich Boller trotzdem auf den Weg machte, fragte er sich immer wieder: Warum hat er mich trotzdem angerufen und mich darum gebeten?

Noch nie, wirklich noch nie - und auch damals, als Boller dachte, er käme sonst auf gar keine Art und Weise dazu, hatte er je welche gekauft. Immer war es ihm peinlich gewesen, egal ob im Migros oder im Coop. Kondome - auch versteckt zwischen Fleisch, Früchten und Büchsen aufs Band an der Kasse zu legen oder in der Drogerie gar die Verkäuferin danach zu fragen, das war nicht Bollers Ding.

Was denken die Leute und natürlich, was würde die nette Kassierin über mich denken?

Da kommt wohl einer heute zum Schuss? Oder: Schau nur, was dieser biedere Mann wohl für einen Frau hat, die ihn nur mit Gummis ran lässt? Ob der mit seinem Teil den Gummi überhaupt ausfüllt?

Boller schossen noch viele derartige Gedanken durch den Kopf und wenn er es sich richtig überlegte, hatte er noch nie vor oder hinter sich in der Schlange an der Kasse jemanden gesehen, der Kondome auf das Kassenband legte. Oder verstecken sie diese so gut?

Das spielte nun alles keine Rolle mehr. Fredi hatte ihn völlig aufgelöst angerufen und sozusagen auf Knien gebettelt, dass er - Boller - für ihn Kondome kaufe, damit Fredi, wenn er dann spät in der Nacht mit seiner neusten Errungenschaft nach Hause komme, Kondome vorfinde.

"Du weisst doch Boller, wie wichtig das gerade bei uns Schwulen ist," hatte ihn Fredi bedrängt. Auch Bollers Einwand, dann müsse Fredi halt einmal darauf verzichten, liess Fredi nicht gelten. "Das ist so ein schnuseliger Junge, da kann ich mich nicht halten, Boller. Das verstehst du doch, oder?"

Boller hatte nichts gesagt und Fredi hatte ihm dann noch erklärt, wo Boller den Packen mit den Kondomen hinlegen solle, damit sie dann für Fredi wirklich griffbereit da lagen. Dann hatte er sich bedankt und ziemlich ernst gesagt: "Boller, ich zähle auf dich!" und aufgelegt.

Und jetzt war Boller also auf dem Weg, das erste Mal in seinem Leben - mittlerweile dachte er auch schon mal daran, wann die erste Rente ausbezahlt würde - jetzt war er also unterwegs, Kondome zu kaufen. Er überlegte sich, was er neben den Kondomen noch einkaufen sollte, damit diese nicht auffallen würden, ein wirklich rettender Gedanke kam ihm nicht.

Seine Überlegungen gingen immer weiter Richtung, welche Ausrede habe ich, um keine Kondome kaufen zu müssen, als ihm die befreiende Idee doch noch kam. "Passabene bei Coop. Da kann ich meine Einkäufe selber einscannen, direkt in die Tasche und nicht auf das Einkaufsband legen."

Bollers Augen strahlten. Dass er nicht schon früher auf diese Idee gekommen war? Sofort bog er ab, um Richtung Coop Supermarkt zu fahren.

Jetzt sah er alles klar und deutlich vor sich. Er würde nicht nur Kondome kaufen, sondern auch noch ein paar andere Einkäufe tätigen. Sonst würde es ja wieder auffallen, wenn an der Kasse das Scangerät ausgelesen wurde. Also kaufte er dies und jenes, einfach ein paar Kleinigkeiten, von denen er meinte, sie benötigen zu müssen, und ging dann auf das Regal mit den Kondomen zu. Doch da stand eine Frau. Sie beschäftigte sich eingehend mit Binden und stand dermassen ungeschickt vor den Kondomen, dass Boller sie hätte bitten müssen, auf die Seite zu treten. Also bog er diskret ab, nahm die Kurve zu den Shampoos, schaute und studierte, die Produkte von Nivea, Axe und wie sie alle hiessen und als sich die Dame endlich von den Binden entfernte, stand seinem Angriff auf die Kondome nichts mehr im Weg.

Niemand war in Sichtweite, der ihn hätte sehen oder gar beobachten können. Also kurvte er mit seinem Einkaufswagen und der grünen Passabene-Tasche direkt auf das Verkaufsregal mit den Kondomen zu. Er schaute nicht lange auf die einzelnen Produkte, obwohl er erstaunt war ob der Vielfalt. Er griff sich einfach eine Packung von der er meinte, die liege im oberen Preissegment, soviel hatte er erkennen können, und warf den Packen nach dem Selfscanning achtlos in seine Einkaufstasche. Erleichterung.

Trotzdem schoss ihm das Blut in den Kopf. Aber jetzt hiess es nur noch, ab, an die Kasse und bezahlen. Ohne Umwege steuerte Boller der Kassa zu. Für Passabene ist eigens eine reserviert, also nichts wie hin und durch. Er legte seinen Scangerät, in dem seine Einkäufe gespeichert waren, auf das Band und die Kassierin, fragte lächelnd: "Hat alles funktioniert?"

Gleich hinter ihm kamen zwei ältere, ziemlich dämlich wirkende Damen ebenfalls an die Passabene-Kasse. Sie stellten sich parlierend hinter Boller als dieser der Kassierin erwiderte: "Oh ja, danke. Alles hat bestens funktioniert". Boller war immer noch etwas nervös. Die beiden hinter ihm wirkten überheblich und seine Unsicherheit wuchs. Doch was spielte das jetzt noch für eine Rolle. Was konnte noch schief gehen?, fragte er sich und ein Lächeln huschte über sein Gesicht. In nicht mal einer Minute hätte er bezahlt und niemand hätte gesehen, dass er Kondome gekauft hatte. Die Kassierin nahm das Gerät und las die Daten in ihre Kasse ein.

"Oh, das tut mir jetzt leid. Das System verlangt eine Überprüfung ihrer Einkäufe, damit kontrolliert werden kann, ob sie auch alles eingescannt haben. Bitte legen Sie Ihre Einkäufe auf das Band."

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