Von Peter M. Jenni auf Samstag, 06. April 2019
Kategorie: TAM News

Trost spenden hinterfragt

Eigentlich gehört dieser Text in «Das Werkstück, Teil 3». Dort wird er dann auch noch mal erscheinen, vielleicht nicht in genau derselben Fassung, aber das Folgende ist mir so wichtig, dass ich es gerne auch einzeln behandelt haben möchte.

Mein Anliegen richtet sich an all die Menschen, die meinen, mit copy-and-paste Sprüchen aus dem Internet wie «Der Gesunde hat 1000 Wünsche, der Kranke nur einen» oder mit dem Trostspender «Sei stark in deinem Kampf gegen den Krebs», sei dem Kranken Trost gespendet. Bei meinem Anliegen geht es nicht primär um mich; wenn gleich natürlich auch ich betroffen bin. Es geht mir um die zukünftigen Wünsche und trostspendenden Worte und vor allen um die vielen kranken Menschen, die diese erhalten. Und es geht mir um die Überlegung der Wünschenden, was sie denn eigentlich wünschen. Vieles klingt im ersten Moment nett, ist aber bei genauer Betrachtung nicht wirklich sinnstiftend oder trostspendend.

Ich verbinde mein Anliegen mit der Bitte, das Ganze nicht falsch zu verstehen. Ich weiss, all diese Wünsche, Trostspender und Sprüche sind gut gemeint und sie sind bei mir auch so angekommen. Betrachtet man diese Aussagen aber eingehender, sind sie zum Teil despektierlich oder gar für den Kranken deprimierend.
Sehen wir uns mal den Spruch an «Der Gesunde hat 1000 Wünsche, der Kranke nur einen.»

Das ist dem Kranken gegenüber nun wirklich abschätzend. Denn mit dieser Aussage wird ihm unterstellt, er hätte nur noch einen Wunsch. Klar, der Wunsch gesund zu werden, ist bei vielen gross, sehr gross. Aber (erstens) nicht bei allen, zumindest nicht bei den unheilbar Kranken und (zweitens), auch wer (krebs)krank ist, kann noch andere Wünsche haben. Und glaubt mir, ich weiss wovon ich rede.

Und nun der gutgemeinte Trost «Sei stark im Kampf gegen den Krebs». In diesem Satz stecken gleich zwei für den Krebskranken deprimierende Inhalte. Ein Kampf kennt ein Unentschieden, einen Sieger oder einen Verlierer. Das Unentschieden fällt hier ja weg, will heissen: Sollte der Krebskranke seinem Leiden erliegen, ist er auch ein Verlierer und da er ja stark sein sollte gleichzeitig noch ein Schwächling. Na dann «prost!», wenn es zu Ende geht.

Dann gibt’s da noch einen von Arthur Schopenhauer: «Die Gesundheit ist zwar nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts». Hier stellt sich mir die Frage: Ist ohne Gesundheit wirklich ALLES nichts? Ich denke dabei an die chronisch Kranken, oder die Krebskranken. Ist durch ihre Krankheit auch ihr Leben zu einem Nichts geworden? Auf den Punkt gebracht kann sich nach Schopenhauer jeder Kranke gleich die Kugel geben.

Ich weiss und mir ist bewusst, dass kein Wünschender und keine Wünschende dies so gemeint haben möchte. Aber ich bin der Auffassung, es lohnt sich darüber nachzudenken, denn Krebs kann man nicht bekämpfen. Man kann ihn (in manchen Fällen) heilen oder nicht. Aber als Person den Krebs bekämpfen geht nicht. Als Person kann ich akzeptieren, ich kann alles tun, um gesund zu werden. Aber wenn das nicht funktioniert, habe ich weder einen Kampf verloren noch war ich schwach.

Hier findet ihr «Das Werkstück, Teil 1 + 2»:
https://www.textartelier.ch/index.php/text-artelier-medienbuero/tam-news-2/entry/958-das-werkst%C3%BCck-1

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