Von Peter M. Jenni auf Mittwoch, 17. April 2019
Kategorie: TAM News

Notre-Dame: Epizentrum der Hilfe für die Hungernden

Ich bin Architekturbanause und Atheist oder besser, agnostischer Atheist. Notre-Dame hatte mich dennoch bei meinen Paris-Besuchen immer wieder fasziniert. Jetzt ist die Kathedrale niedergebrannt. Dies ist unschön. Der geschichtsträchtige Kirchenbau (Präsident Macron: Die Kathedrale sei «das Epizentrum unseres Lebens») soll in fünf Jahren wiederaufgebaut werden. Noch bevor der letzte Funken erloschen, sind schon einige hundert Millionen Euro gesprochen. Spiegel online: «Luxusunternehmen wollen hunderte Millionen für Notre-Dame spenden». Und weiter: «Milliardärsfamilien wollen ihre Solidarität zeigen».

In und um Paris verhungern Menschen, leben in bitterster Armut, jeder fünfte Franzose hat zu wenig Geld für Lebensmittel (FAZ vom 11.9.2018). Präsident Emanuel Macron dazu: «…ein Skandal, an den wir uns gewöhnt haben.» Es gebe neun Millionen Arme in Frankreich, davon drei Millionen Kinder.

Das ist die Tragödie. Aber da sind die Menschen dann nicht «in Trauer vereint». Sie singen keine gemeinsamen Gebete für ihre Armen. Sie sind nicht wütend, weil Menschen in der Kälte unter Brücken verrecken und ihre «Seelen gingen nicht in Flammen auf», oh ich wollte sagenm, «in Armut unter». Zumindest gab es dies in den Berichten über die neun Millionen Armen, davon drei, ja drei Millionen Kinder in Frankreich nicht zu lesen.

Die Tragödie ist auch die Berichterstattung, die sich noch während des Brandes mit Live-Berichten und Superlativen über die kollektive Trauer gleich mehrfach überschlug. Hinzu kommt die Perversion, dass Luxusunternehmen für tote Materie Geld spenden. Geld im Überfluss, aber ihre Mitmenschen lassen sie verhungern.

Ich will aber nicht nur lästern, ich will auch eine Lösung aufzeigen: Notre-Dame wird nicht wiederaufgebaut, das Geld von den Luxusunternehmern aber trotzdem genommen. Das klingt kompliziert, ist aber am Ende nichts anderes als Politik.

Mit den vielen hundert Millionen Euro kann den Armen Frankreichs über Jahrzehnte geholfen werden, und Millionen von Touristen kommen jedes Jahr nach Paris, besichtigen die Ruinen von Notre-Dame und das im Wissen, dass dank dieses Brandes und der Weitsicht der Politik die Armut besiegt werden konnte. Macron könnte dann medienwirksam vor die Ruinen hinstehen und vom «Epizentrum der Solidarität und der Hilfe» und von wahrer Religion sprechen.

Nicht mal die Luxusunternehmen würden bei «diesem Deal» in die Röhre schauen. Denn sind wir ehrlich, die geben ihr Geld doch nur in der Hoffnung, dass in Zukunft noch mehr Menschen nach Paris kommen und ihre Luxusprodukte kaufen.

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