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Kleine Absätze – grosse Hindernisse: Rollstuhlshopping in Chur

Kleine Absätze – grosse Hindernisse: Rollstuhlshopping in Chur
Sich selbstständig bewegen können, mobil sein,  wird im Rollstuhl zu einem Stück Freiheit, das schon an kleinen Dingen enden kann. Was heisst das für die Betroffenen? Ein Selbstversuch anlässlich der internen Weiterbildung der Physiotherapeuten der Reha-Klinik Walenstadtberg. Ein nachmittäglicher Ausflug in Chur kombiniert mit Shopping, Glace und Abendessen und das als Weiterbildung? Tja, das würde mir gefallen. Als dann aber das Handicap dazu kam (siehe Kasten), ein Rollstuhl und Beine, die nicht bewegt werden dürfen, da wurde aus der Vorfreude schnell Unsicherheit. Trotzdem, diese Shoppingtour der Physiotherapeuten der Reha-Klinik Walenstadtberg wollte ich mir nicht entgehen lassen.

Ein Frage der Technik?
Wir trafen uns am Dienstagnachmittag auf einem ruhigen Parkplatz in der Nähe des Churer Stadtzentrums. Andreas Gautschi, seit seinem Unfall vor 17 Jahren an den Rollstuhl gebunden und Inhaber der Hoga Roll AG, sass schon da und wartete mit seinen Rollstühlen auf uns. Ohne grosse Erklärungen hiess es, hinsetzen und losfahren. Wir nutzen einen wenig begangenen Weg, um uns einzurollen. Bei Andreas sah alles so locker aus und erst jetzt fiel mir auf, dass ich mich noch nie dafür interessierte, was für eine Technik Rollstuhlfahrer anwenden. „Die haben ja vier Räder“, denkt der Gehende. Dabei ist das balancieren auf der Hinterachse das A und O. Die zwei kleinen Vorderräder werden zur Entlastung gebraucht oder zum Steckenbleiben: Eine kleine Unachtsamkeit beim Überqueren eines zehn Zentimeter hohen, sonst von mir nicht für beachtenswert empfundenen Bordsteines und schwups, der Rollstuhl kippt und wirft mich schubkarrengleich ab. Nur dank einer reflexartigen, in diesem Versuch aber eigentlich nicht bewilligten Bewegung meiner Beine kann ich einen Sturz verhindern.

Nun denn, alles eine Frage der Technik, und wahrlich im Verlaufe unserer Tour durch Chur mache ich grosse Fortschritte. Die Freude darüber ist aber von kurzer Dauer. Auch wenn uns Andreas zeigt, wie er lange Treppen und andere grössere Hindernisse hinauf und hinunter fahren kann und sich auch eine rund 10-prozentige Steigung hoch wuchtet, mancher Eintritt, oder müsste ich schreiben, manches hineinrollen blieb uns verwehrt und war nur mit fremder Hilfe und Anweisungen möglich. „Und gerade das ist es, was die Handicapierten nicht wollen. Sie möchten sich selbstständig - ohne immer auf die Hilfe von anderen oder gar Fremden angewiesen zu sein - auch in einer fremden Stadt bewegen können,“ erklärt Andreas.

Dies war eine Forderung, die konnte ich als Gehender bis anhin nicht richtig nachvollziehen. Ich habe mich auch schon gefragt, warum wollen die Behinderten denn nicht, dass ich ihnen helfe?
 
Nicht gleich
Jetzt weiss ich es. Nach ein paar Stunden im Rollstuhl, fröhlich herumkurvend und dumme Sprüche klopfend in einer Stadt wie Chur (es könnte aber auch jede andere gewesen sein) überkam mich ein Gefühl, so als ob uns alle mit verstecktem Mitleid anlächeln würden. Ganz so als wollten sie sagen: Schau diese armen Menschen, alle im Rollstuhl. Es sind wohl ehemalige Motorradfahrer, aber helfen werde ich ihnen trotzdem.“

Oder wie schreibt es ein Querschnittsgelähmter auf seiner Homepage: „...Ich will aber auch darauf hinweisen, das  jeder Rollstuhlfahrer wie jeder Fussgänger auch, ein Individuum ist und bleibt und zwei Menschen, nur weil sie beide im Rollstuhl sitzen, noch lange nicht gleich sind!“

Mit der Zeit bewegte sich unsere Zehnerrollstuhlgruppe aber schon ganz sicher und flüssig durch die Altstadt. Zwar kam es mal zu einem Abwurf, das Überqueren eines Bordsteins wurde nicht geschafft oder wir mussten umkehren, weil eben eine Baustelle nur selten rollstuhlgängig ist, aber grundsätzlich ging alles gut und wir konnten auch alle Geschäfte und Einkäufe, die wir uns vorgenommen hatten erledigen. Dabei – und das muss ich an dieser Stelle betonen – haben uns viele Leute sehr nett geholfen. Sie standen jeweils sofort und hilfsbereit da, schoben den Rollstuhl, kamen aus dem Postgebäude, so dass wir den Kauf der Prepaidkarte auf der Strasse abwickeln konnten, eilten sofort herbei und leisteten nach einem Sturz die notwendige Hilfestellung oder machten im Restaurant Platz, damit unsere Gruppe sich an einem Tisch vereint ein feines Nachtessen gönnen konnte.

Ein Gefühl der Ohnmacht
Aber eben, sitzt man im Rollstuhl und schaut die Welt von etwas weiter unten an, da wäre es schön, „wenn man den Film angucken könnte, den man will und nicht den schauen müsste, der gerade im rollstuhlgängigen Kinosaal läuft“, wie es Andreas ausdrückte. Vielfach sind es aber nur ganz kleine, bauliche oder andere Begebenheiten, die unseren Mitmenschen im Rollstuhl ihre Mobilität einschränken und die sie von unserer Hilfe abhängig machen. Und – das habe ich jetzt auch verstanden – Hilfe geben gibt uns ein Gefühl der Macht, Hilfe in Anspruch nehmen müssen, ein Gefühl der Ohnmacht.

((Kasten))Die Vorgaben
Die Teilnehmer sind Handicapierte ohne Beinaktivitäten; hingegen keine Einschränkungen bei den  Rumpf-, Arm-, Hand- und Fingeraktivitäten. Sie benutzten einen Aktivrollstuhl.

EOT
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