Von Peter M. Jenni auf Sonntag, 20. Januar 2008
Kategorie: TAM News

Architektur wirkt nur im Kontext mit der Natur

„Architektur ist eine Tochter des Kontexts, der Umgebung, und gleichzeitig aber auch eine Tochter der Geschichte“, erklärte Maria Botta am vergangenen Freitag im Quellenhof in Bad Ragaz. Seine Aussagen fesselten und faszinierten rund 300 Zuhörerinnen und Zuhörer und führten in eine Welt voller Erinnerung und Moderne.

Von Peter Jenni

Er baute in San Francisco das Museum of Modern Art, in Neuenburg das Centre Dürrenmatt, in Basel das Tinguely-Museum, in Tel Aviv die Cymbalista-Synagoge; in Korea baute er, in China, in Japan, in Haiderabad und am Freitag referierte er in Bad Ragaz. Der Schweizer Stararchitekt Mario Botta.

Auf wohl keinen passt das Etikett Stararchitekt besser als auf ihn. Über den 64jährigen Mario Botta ist mehr geschrieben worden als über alle anderen Architekten seiner Generation; er baut in aller Welt, und kein Zweiter wurde bereits im Alter von 43 Jahren mit einer Ausstellung im Museum of Modern Art in New York geehrt. So war es nicht erstaunlich, dass auf die Einladung der Kulturellen Vereinigung Bad Ragaz am vergangenen Freitag an die 300 Architekturinteressierte den Weg in den grünen Saal des Hotels Quellenhof fanden.

Dass das Referat „Bauen im Alpenraum“ in Bad Ragaz überhaupt möglich wurde, ist auch Chasper Pult, Kulturvermittler aus Graubünden, mit Botta gut bekannt und den regelmässigen Gästen der Anlässe der Kulturvereinigung ebenfalls kein Unbekannter, zu verdanken. Pult übernahm auch die Aufgabe, die Ausführungen des italienisch sprechenden Bau-Künstlers ins Deutsche zu übersetzen und ihn in ein Gespräch zu verwickeln; beides ist ihm hervorragend gelungen.

Geben und Nehmen
Doch was heisst das nun, Bauen in den Alpen? Oder anders gefragt, wo liegt der Unterschied, wenn man in den Bergen statt im Flachland baut? „Architektur ist nicht ein Objekt“, so Botta, der im Alpenraum vor allem durch seine Sakralbauten bekannt ist. Die Architektur stehe immer im Zusammenhang mit der Umgebung. Nur im Geben und Nehmen entstehe Architektur. „Es muss eine Beziehung entstehen zwischen dem Objekt und der Umgebung. Und je grösser diese Beziehung ist, um so vollkommener wird die Architektur.“

Botta führte seine Zuhörer anhand von Bildern durch sein vielfältiges Schaffen. Mit seinen Erläuterungen liess er sie spüren, was Architektur einmalig werden lässt und wo deren Grenzen liegen.

Landschaft als Ganzes
„Wir erleben die Landschaft, die Natur als Ganzes. Strassen, Kirchen, Bäume, Häuser, Berge und Seen ergeben eine Spannung.“ Die Architektur benötige diese; sie ist darauf angewiesen, sodass ein Ganzes entstehen kann. Die Alpen seien dermassen stark, dass der Dialog der Architektur mit den Alpen eine echte Herausforderung und viel schwieriger sei als anderswo. Deshalb sei es viel anspruchsvoller in den Bergen zu Bauen als in der Wüste. „Es ist eben nicht die Architektur selbst, es ist das Zusammenspiel, das wirkt.“

„Architektur ist eine Tochter des Kontexts, der Umgebung, und gleichzeitig aber auch eine Tochter der Geschichte.“ Hier hakte Pult nach, denn die historischen Hintergründe zu spüren, das komme uns doch immer mehr abhanden.

Drama der Globalisierung
Dieser Verlust ist denn auch für Botta das „Drama der Globalisierung unserer Zeit“. Die Beschleunigung, die stattfindet, gibt uns keine Zeit mehr zur Erinnerung. Die Architektur habe die Aufgabe, die Erinnerung aufrecht zu erhalten. „Architektur ist Erinnerung.“ So liegen denn auch in alten Quartieren einer Stadt Erinnerungen, die wir in uns aufnehmen, wenn wir sie durchschreiten. Architektur ist gemäss Botta neben dem Spiegel der Geschichte, dem Reflex der kollektiven Gesellschaft, auch der Sohn des Zeitgeistes und so Zeuge des gelebten Schaffens seiner Zeit. „Das will ich darstellen.“

Anhand von verschiedenen Bauten legte er dar, dass seine Architektur diesen Zeitgeist aufnehmen kann und gleichzeitig in der Form- und Farbgebung Zeichen setzt. Eine heutige Grossstadt ist ein Labyrinth aus Strassen und ewig gleichen Hochhäusern, wir haben Mühe uns darin zurechtzufinden, deshalb, so Botta, seien diese Zeichen so wichtig. Sie geben Halt und Orientierung.

Zeichen gesetzt
Zeichen dieser Art sind beispielsweise das Moma, Museum of Modern Art in San Francisco oder die Chiesa del Santo Volto in Turin. Und gerade bei der Kirche in Turin zeigt es sich, wie stark sich Botta mit seiner Architektur in die Geschichte und die Umgebung einlässt. Aus einem sternförmigen Grundriss inmitten der ehemaligen Fiatproduktionsstätten erheben sich sieben 50 Meter hohe Türme. In den religiösen Mittelpunkt von Santo Volto stellt Botta das Turiner Grabtuch, das in Form eines am Computer berechneten Pixelreliefs aus Marmor hinter dem Altar erscheint. Das «Heilige Antlitz», nach dem die Kirche benannt ist, beherrscht den kreisrunden Gebetsraum und je näher man ihm kommt, um so mehr verwindet das Gesicht Jesu und löst sich in die einzelnen Pixel auf.

Bogen geschlagen
Vor der Kirche erinnerte ein Industriekamin an das Fiat-Werk, das hier einst stand. Botta hielt am knapp 60 Meter hohen Schornstein fest und liess ihn mit Beton ummanteln. Er will mit dieser Architektur den Bogen vom Gotteshaus zur industriellen Umgebung und zur Vergangenheit schlagen. Oder, um es mit den Worten von Chasper Pult zu sagen: „Nicht die Vergangenheit muss von der Moderne entdeckt werden. Die Moderne ist die Vergangenheit selbst, die sich immer wieder neu eröffnet.“

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