«Rütli der Deutschen in der Schweiz»: Eine Begegnung am Simon-Denkmal
30.10.2014: «Ein Denkmal für Werte, die es angesichts der Turbulenzen auf dieser Welt Stunde für Stunde, Tag für Tag zu leben lohnt. Wenn nicht das, was dann?» Dies fragt sich Marlies Dyk beim Denkmal von Heinrich Simon in Murg.
Erst kürzlich, Ende September, just am Tag des Denkmals, traf ich sie. Eine Deutsche mit Bentley, ihrem kleinen kleinem Hund (Bolonka), und mit einer Faszination für das Denkmal von Heinrich Simon. Bis anhin herrschte der Eindruck vor, Heinrich Simon, «einer von den Guten», der unter bis heute ungeklärten Umständen im Walensee ertrunken war, interessiere keinen mehr, weder Einheimische noch Touristen.
Das vor über 150 Jahren am 5. Oktober 1862 eingeweihte Denkmal befindet sich in einem bedenklichen, renovationsbedürftigen Zustand. Der Sandstein bröckelt, die Schrifttafeln sind fast nicht mehr lesbar und kaum einer verirrt sich noch an dessen Standort, hoch über Murg. Anlässlich der Einweihung wurde geschrieben: «Die Matte, auf welcher das Monument sich befindet, kann vom See und von der Eisenbahn aus gesehen werden. Ihre Lage hat Ähnlichkeit mit dem Rütli am Vierwaldstätter-See. Und so bezeichnete denn auch ein Festredner an diesem prachtvollen Herbsttag den Ort als «das Rütli der Deutschen in der Schweiz».
Nun, die Matte ist weg. Überbaut. Über dem Monument thront der Unterboden der Umfahrungsbrücke, Unkraut wuchert. «Wie dieses Denkmal hier vor langer Zeit durch die Murger angelegt wurde. Das gebührt Hochachtung», sagt Marlies Dyk und sie verweist auf Art. 6 der Schenkungsurkunde: «Die Gemeinde übernimmt die Verpflichtung, dass in der Richtung, welche in gerade Linie auf die Eisenbahn von dem Denkmal und Grab führt, keinerlei Bäume gepflanzt werden und in Hinsicht dessen wird zugestanden, dass das Nussbäumchen, welches jetzt gerade unterhalb des Denkmals steht, sofort weggenommen werden kann.»
Marlies Dyk steht vor dem Denkmal, schaut hinauf zum Konterfei von Heinrich Simon: «Menschen vermögen es, sich Denkmäler zu bauen, zu erarbeiten, ohne dass sie es zu Lebzeiten ahnen. Durch eine Art, die geprägt ist durch ihre Persönlichkeit. Sie machen es nicht bewusst. Nein. Sie leben es, was sie später, viel später zu Vorbilder, Vorreiter oder auch Visionäre ihrer Zeit macht.»
Die diplomierte Philosophin und Absolventin der Ingenieurschule für Bauwesen (Ing.-Ökonomie, Ingenieur-Ökonom) weiss wovon sie spricht. Sie war Denkmalpflegerin, Verlagsleiterin, Journalistin und Presseberaterin. Heute leitet sie ihre eigene, inhabergeführte Agentur für internationales Kommunikations- und Pressemanagement.
Auf einer Schrifttafel steht «Einer von den Guten» und Dyk philosophiert dazu: «Ein Satz, in dem so viel Lebens-Empirik liegt, dass es einem Gänsehaut macht. Ein Denkmal für Einen, der Mut und Zivilcourage bewies, der dafür sein Heimatland verlassen musste und keinen Zweifel daran liess, wie sehr er seinem neuen Zuhause, der Schweiz dankte. Ein Denkmal für Werte, die es angesichts der Turbulenzen auf dieser Welt Stunde für Stunde, Tag für Tag zu leben lohnt.» Sie legt eine Pause, dann fragt sie: «Wenn nicht das, was dann?» Und über die Murgern der damaligen Zeit sagt Dyk: «Sie waren sozial, blieben authentisch, bodenständig und auf eine, ihre Weise, anständig gegenüber ihren Zeitgenossen, dass es diesen so viel wert war, diesem einen Menschen ein Denkmal zu setzen.»
Doch von wem sprechen wir hier eigentlich? Wer war Heinrich Simon (1805 – 1860)? Eine Broschüre, die bei der Ortsgemeinde Murg bezogen werden kann und Wikipedia geben Auskunft: Simon sagte über sich: «Und wenn der Weg der Wahrheit quer durch mein Herz führt, - ich werde ihn einschlagen. Ich darf es sagen, denn ich habe es getan». Er studierte von 1824 bis 1827 Rechtswissenschaften sowie Kameralwissenschaften an den Universitäten Berlin und Breslau. 1827 trat er in den preussischen Staatsdienst ein, wurde jedoch bereits 1829 wegen Tötung eines Duellgegners zu lebenslanger Festungshaft verurteilt und interniert. Nach seiner Begnadigung 1830 arbeitete er zuerst als Hilfsarbeiter an Breslauer Gerichten und weiter in der regulären Laufbahn an Gerichten in Breslau, Berlin, Magdeburg und Frankfurt (Oder). 1841 wechselte er in das preussische Kultusministerium. Nach einer Urlaubsverweigerung trat er 1845 aus politischen Gründen aus dem preussischen Staatsdienst aus und arbeitete als freier Publizist zusammen mit Robert Blum. 1847 wurde er wegen Majestätsbeleidigung gegenüber Friedrich Wilhelm IV. angeklagt.
1848 war er neben seiner Abgeordnetentätigkeit im preussischen Landtag Delegierter im Vorparlament, wo er die Funktion des Sekretärs wahrnahm und anschliessend Mitglied des Fünfzigerausschusses. In diesem Jahr und bis 1849 vertrat er Magdeburg in der Frankfurter Nationalversammlung.
1849 war Simon während gut einem Monat Mitglied der vom Rumpfparlament eingesetzten Exekutive, der provisorischen Reichsregentschaft. Nach der Niederschlagung der Revolution floh er im Juli des gleichen Jahres in die Schweiz und wurde anschliessend in Abwesenheit aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Reichsregentschaft wegen Hochverrats zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt.
Nach dem die Freiheitsbestrebungen des Deutschen Volkes an den Ränken treuloser Fürsten gescheitert waren, fand der Verbannte in der Schweiz eine schützende Zufluchtsstätte. In der Broschüre heisst es dazu: Im Lande der «Tell und Winkelriede erkannte und erlebte er bereits in vorausschauendem Geiste, die stattliche Zukunft, den anbrechenden Freiheitstag Deutschlands».
Er wurde unternehmerisch tätig und betrieb landwirtschaftliche Güter, beteiligte sich an Steinbrüchen sowie Kupferhütten. Die Universität Zürich verlieh ihm 1851 die Ehrendoktorwürde. 1860 ertrank er unter bis heute ungeklärten Umständen bei Murg im Walensee.
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